BOUND TO METAL – Dominik Irtenkauf über Alexander Nym

Sind im Jahr 2015 die Grabenkämpfe zwischen Metal und Gothic ausgefochten? Spielen nicht längst Dutzende Extreme-Metal-Gruppen auf dem jährlichen Wave-Gotik-Treffen in Leipzig? Der Musikjournalist, Autor und Herausgeber ALEXANDER NYM müsste das aus eigener Erfahrung sehr gut beurteilen können. 2010 brachte er den Sammelband „Schillerndes Dunkel“ zur so genannten Schwarzen Szene heraus, ein Backstein von einem Buch, das von der Edition Araki in Leipzig vertrieben wird. In dem Buch mischen sich kritische Selbsteinschätzungen von langjährigen Szeneaktivisten mit wissenschaftlichen Essays zum Thema. NYM hatte bei der Herausgabe des Buches eine Leitlinie vor Augen: „Ja, nämlich, dass es einerseits eine chronologische Entwicklung nachzeichnen, andererseits aber auch modular lesbar sein sollte. Sprich: man kann es überall aufschlagen und die Beiträge lesen, die man am interessantesten findet, man kann es aber auch von vorne nach hinten lesen. Die Zielsetzung war, einen Überblick zu schaffen, der einerseits durch die radikale Subjektivität mancher Akteure geprägt ist und so in gewisser Weise den ‚independent spirit‘ enthält, andererseits aber auch das Ausgreifen der dunklen Alternativkultur und ihre Verbindungen mit Kunst- und Musikgeschichte sowie der Popkultur aufzuzeigen. Denn das geht ja weit über Musik und schrilles Styling hinaus.“

Während seiner musikalischen Sozialisation kam er immer mal wieder mit Metalmusik in Berührung, wobei er sich vor dem Interview noch als Absolventen der Spinal-Tap-Academy bezeichnete. Die langen Antworten lassen eine solche Selbsteinschätzung eher bezweifeln. „Im Verlauf der 90er kam es im Zuge des Crossover-Trends zu allerlei Hybriden, nicht nur aus Gothic und Metal, aber auch. „Vision Thing“, das letzte Studioalbum der Sisters Of Mercy, machte diese Tür schon auf, das ist ja ein straightes Rock-Album. Obwohl Elektronik und Rock/Metal in den 80ern in verschiedenen Galaxien existierten – die einen machten keine ‚echte‘ Musik, die anderen waren gitarrenverliebte Egomanen – gab es auch bei Elektronikbands, die ja alle einen Punk- oder (Kraut-)Rock-Hintergrund hatten, gelegentliche Versuche, mit Stromgitarren zu arbeiten, aber so richtig geknallt hat das erst in den 90ern, als Die Krupps ihr Metallica-Album machten. Vorher gab es so Volten wie ‚Industrial Metal‘, Psychopomps undsoweiter, die mit gesampelten Gitarrensounds arbeiteten, aber das war nur ein kurzlebiger Trend, der dann von NuMetal etc. überholt wurde. Ober eben gleich Ministry, die waren die eigentlich ersten, die so konsequent bretterharte Gitarren mit reingebracht haben.“

In den Arbeiten von ALEXANDER NYM zeichnet sich eine rote Linie ab. Dabei hält er es offen, ob seine Artikel, Essays und Bücher reine Wissenschaft oder Literatur oder einen Zwitter dazwischen darstellen. „Rote Linie, die gibt es sicherlich, ja – ich habe viel im Kontext totalitärer Ästhetik, Propagandamethoden und Bewusstseinsveränderung gearbeitet, und die Bands und Projekte, die mich seit der Jugend (mit Unterbrechungen) begleiten, und die über eine lange Zeit eine gewisse Relevanz entwickelten oder zugeschrieben bekamen, setzen sich damit auch auseinander. Was wiederum den Kreis schließt, weil ich deutsche Ausgaben von Büchern über die betreffenden Bands herausgegeben habe. Daneben interessieren mich ganz allgemein Jugendkulturen und gegenkulturell inspirierte Kunst, von Dada und Surrealismus zu den Beatniks, den 60s, Punk undsoweiter; es ist ein einziges Kontinuum, und Metal oder Goth oder Psychedelic oder Industrial sind nur Splitter aus diesem faszinierenden Spiegelkabinett.“

Die Verbindungen zwischen Metal und Gothic werden immer ein Stück weit kritisch betrachtet. Im erwähnten Sammelband „Schillerndes Dunkel“ werden die Ausflüge in den Metal durchaus umfassend angesprochen. NYM hatte durchaus seine Probleme mit der Metaller-Zunft. „Als ich dann noch mit New-Wave-Rasur und in Schwarz unterwegs war, gab’s oft Ärger von den Moshern mit Bomberjacken und Stretch-Jeans; für die war ich eine Elektro-Schwuchtel, weil alles was nicht haarig ist, Gitarre spielt und schwitzt, kann ja kein Mann sein! Die echten Metaller mit den Kutten, die richtig gefährlich wirkten, wenn ‚Klingonendisco‘ war, die waren in Ordnung und haben mich sogar in Schutz genommen. In der Schule damals sah ich oft die blutrünstigen Monster-Shirts von Schulkameraden mit Matten, und dachte, das müsse voll die brutale Mördermucke sein, aber als ich dann mitkriegte, dass das eher so Hardrockkapellen waren, das hat mich schon amüsiert. Also kein Vergleich mit Exploited, OHL, Blut und Eisen und so Punkkram, was für mich halt Gitarrenmusik war damals, außer Elvis. Black und Death Metal war für mich dann eher aus der jugendkulturellen Perspektive interessant, weil sich da Anfang der 90er ähnliche Sachen und Klischees abspielten, wie in den 80ern bei den Wavern bzw. Gothics, aber krasser. Über die Fusion aus Gothic und Metal in den 90ern war ich etwas belustigt, aber mir waren NIN und Ministry lieber als Paradise Lost und HIM.“

30 Jahre schärfen den Blick für diverse Details – ALEXANDER NYM setzt seine Studien unbeirrt fort, spürt den Unterschieden und Parallelen der Jugendkulturen nach und bleibt daher vielleicht selbst ewig jung? Denn erst in der Retrospektive wird der Glanz der Jugend sichtbar oder wie er es selbst ausdrückt: „Dass Ihr Musik und Konzerte und Festivals und die Menschen dort als Bereicherung und als Gemeinschaft erleben und genießen könnt, denn wenn die Musik zuende ist und das Licht ausgeht, was bleibt denn dann, wenn nicht Liebe und Freundschaft?“

© Dominik Irtenkauf, Erstveröffentlichung in Legacy 101-02-2016

 

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