Ein Viertel des Lebens

Zöhre hatte eine glückliche Kindheit in Ostanatolien in der Türkei der Sechziger/Siebziger Jahre. Mit dem Umzug nach Deutschland beginnt eine schwere Zeit. Hierher ziehen viele traditionsgebundene Familien, denen die Küsten und Großstädte der Türkei zu modern geworden sind. Ein Viertel des Lebens zeigt den Weg einer Emanzipation.
Bei einem psychologischen Test ihres Sohnes, der nicht sprechen lernen will, vergibt sie sich die erste Chance zur Freiheit. Als die Ärztin dem Jungen Farbtafeln vorlegt, sagt der Sohn zu Rot "Blut". Zum allerersten Mal traut sich Zöhre überhaupt, mit einem Menschen über ihr Privatleben zu sprechen. Doch erst ein Todesfall, Jahre später, gibt ihr die Kraft zum Widerstand. Ohne Behördenhilfe beginnt sie den Kampf aus purer Verzweiflung. Ihr Mut lässt sie siegen. Dann erst findet sie zu den Behörden, die ihr dauerhaft Rückendeckung geben. Integration wird zum Befreiungsprozess. Zöhre hat zwei Berufe gelernt, ihren Sohn allein großgezogen, arbeitete in einem Elektronikmarkt, bis sie bei der Polizei eine Stelle als Gefängniswärterin annahm.
 
Wenn die Familie nicht gewesen wäre, hätte sie studiert. Jura. Die Scheidung, der Kampf gegen Todesdrohung und eine verlogene Familienehre haben sie jedoch reifen lassen, und mit ihrem Buch, das sie ohne Pseudonym schreibt, hat sie eine alternative Matura erworben. Jetzt will sie anderen Frauen helfen. Allein ihr Beispiel hat in der Stadt am Rhein bereits 10 Frauen zu Scheidungen von unglücklichen Ehen animiert. Sie selbst hat mit der türkischen Gesellschaft gebrochen. Sie ist Deutsche. Zöhre ist aktiv und engagiert sich. Sie schreibt Gedichte, das nächste Buch, macht Lesungen, Interviews, Reisen. So langsam krempelt sie ihr Leben endgültig um.

Das Buch wurde für Frauen gemacht, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Wir wollen Mut machen, über das Leben nachzudenken und eigene Schritte zu wagen. Was an dem Text über die direkte Sprache hinaus beeindruckt, ist der Mut, die eigene Seele transparent zu machen, aber auch die existentielle Auseinandersetzung mit dem persönlichen Schicksal. Wir hören die Frage nach Gott, wir erleben die Abrechnung mit diesem Gott, der sie ohne Antwort ihrem entwürdigenden Schicksal überläßt. Die Autorin hat sich auch davon emanzipiert, ohne ihn definitiv abzulehnen.

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